Verstand vs. Bauchgefühl
Verstand vs. Bauchgefühl

Menschen sind oft nicht rational. Genau so wenig sind es Börsen.

Die Irrationalität von Menschen und Märkten

Wir sprechen mit Univ.-Prof. Dr. Teodoro D. Cocca von der Johannes Kepler Universität - einem Experten zum Thema Börsenpsychologie - über das Bauchgefühl, die momentane Stimmung und klassische Anlegerfehler.

Herr Dr. Cocca, das Bauchgefühl ist das Gegenteil vom Homo oeconomicus, dem rational denkenden Menschen. Hat es prinzipiell das Zeug dazu, ein guter Anlageberater zu sein?


Das Bauchgefühl ist nicht per se schädlich beim Veranlagen. Intuition kann auch ein Element sein, das beim Investieren durchaus Positives bewirkt. Dort wo aber Anlageentscheidungen von extremen Gefühlslagen dominiert werden oder nur auf Emotionen basieren, ist die Wahrscheinlichkeit von Irrationalitäten sehr groß.

Das hat damit zu tun, dass unser Entscheidungsorgan, das Gehirn, für eine Fülle von psychologischen Verzerrungen anfällig ist. Dazu gibt es inzwischen unzählige Forschungsresultate.

Ein guter Anlageberater wäre in diesem Sinne ein empathischer Homo oeconomicus, der die „Denkschwächen“ erkennt und hilft, diesen nicht wiederholt zum Opfer zu fallen.

Was sind denn die klassischen Fehler, die Anleger:innen immer wieder machen?
 

Der Mensch ist ein Herdentier und lässt sich von der Stimmung anderer anstecken. So neigt man in besonders euphorischen Marktphasen dazu, Aktien zu hohen Preisen zu kaufen und in besonders pessimistischen Phasen dazu, zu tiefen Preisen zu verkaufen. Diese Stimmungen widerspiegeln aber Übertreibungen und sind schlechte Zeitpunkte, um der Herde zu folgen.

Auch klassisch ist das Phänomen der selektiven Wahrnehmung. Dabei werden vor allem Nachrichten, die im Einklang mit der eigenen Meinung stehen, hoch gewichtet. Informationen im Widerspruch zur eigenen Meinung hingegen werden eher verdrängt.

Das führt zu einer verzerrten Meinungsbildung. Generell ist der Einfluss der Medien auf die Meinungsbildung von Investoren ein zentrales Thema meiner Forschung. Darüber machen sich die meisten kaum Gedanken. Der allergrößte Fehler ist aber, dass Aktieninvestments in zu geringem Ausmaß, zu spät und zu wenig diversifiziert durchgeführt werden.

Die Stimmung ist derzeit sehr negativ. Was sind die Dos and Don´ts in solchen Phasen?

Der Markt musste heuer viele negative Nachrichten verarbeiten. In einer solchen Phase baut sich eine immer pessimistischere Stimmung auf. Mit der Zeit ist aber soviel Negatives in den Kursen abgebildet, dass eine Trendumkehr wahrscheinlicher wird. Die erste Gefahr besteht darin, zu früh auf die Trendwende zu setzen und damit in das sogenannte fallende Messer zu greifen. Aber auch das Aussteigen aus dem Markt ist gefährlich, da man häufig dann die Trendumkehr verpasst und zu spät wieder einsteigt. Kurzum: wenn man nicht sofort am Anfang einer Krise verkauft hat, lohnt es sich, eine Krise auszusitzen und allenfalls in Phasen besonders düsterer Aussichten Aktien zuzukaufen. Das ist natürlich leicht gesagt, aber in der Realität schwer in der Umsetzung.

Sie beschäftigen sich schon lange mit der Irrationalität der Märkte. Was waren in den letzten Jahren Musterbeispiele für Übertreibungen an den Börsen?


Die klassischste spekulative Blase, die ich überhaupt erlebt habe, war die Preisentwicklung von Bitcoin und die damit verbundene regelrechte Hysterie. Selten war die Diskrepanz zwischen dem Preis und dem inneren Wert eines „Gutes“ dermaßen groß. Und selten davor hatten Käufer:innen wirklich nur ein einziges Fundament: jemanden der bereit war, noch mehr für einen Bitcoin zu zahlen.

Nicht im Ausmaß der Preisbewegung, aber im Sinne einer sozialen Epidemie, die steigende Aktienpreise auslösten, war die Internet-Blase, die 2001 platzte. Das war eine sehr verrückte Zeit, die ich miterlebt habe. Plötzlich verteilte jeder Aktientipps bei Partys oder im Wartezimmer des Arztes. Das sind Phasen von echten Massen-Manien. Wenn jeder glaubt, an der Börse reich zu werden, dann befindet sich die Herde in einer klaren Übertreibungsphase. Erkennt man die Neigung von Menschen zu solchen Phänomenen, hat man schon viel über die Natur der Börse verstanden. 

KEPLER managt Fonds, die die Marktpsychologie berücksichtigen. Sie stehen als Spezialist zur Seite. Wie funktioniert die Kooperation?


Die Behavioral Finance kommt bei der taktischen Steuerung der Asset Allokation (Anlageaufteilung) zum Einsatz. Es werden also nicht einzelne Titel mit Analyseinstrumenten der Marktpsychologie untersucht, sondern die wichtigsten Anlageklassen. Hierzu wird monatlich anhand einer Fülle von Stimmungsindikatoren die psychologische Verfassung des Marktes beurteilt. Auch werden die Themen, die die Marktakteure beschäftigen, und Markterwartungen bewertet.

Weiters werden Anzeichen für Übertreibungen in die eine oder andere Richtung gesucht. Dabei fließen wissenschaftliche Erkenntnisse und auch inzwischen die eigene langjährige Erfahrung in die Beurteilung der Marktlage mit ein. Die Behavioral Finance stellt aber stets nur eine von vielen Betrachtungsdimensionen dar. So wird auch immer eine volkswirtschaftliche und bewertungstechnische Einschätzung der Marktlage durchgeführt.

UNSER GEHIRN IST ANFÄLLIG FÜR PSYCHOLOGISCHE VERZERRUNGEN.

Univ.-Prof. Dr. Teodoro D. Cocca,
Johannes Kepler Universität Linz


Teodoro D. Cocca ist Professor für Asset Management an der Johannes Kepler Universität in Linz. Er ist ein gefragter Referent bei akademischen Tagungen sowie internationalen Konferenzen und als Berater für eine Reihe von Finanzhäusern und institutionellen Investoren im In- und Ausland tätig. Professor Cocca schreibt regelmäßige Kolumnen für die Oberösterreichischen Nachrichten.

Dr. Cocca

Bringt die Berücksichtigung der Behavioral Finance ein Rendite-Plus?


Die Forschung befindet sich auch bei diesem Thema in einem kontinuierlichen Wahrheitsfindungsprozess. Ältere Studien haben eine Überrendite nachweisen können, dann stellten sich methodologische Fragen, die diese wieder eher angezweifelt haben. Neuere Studien mit auch neuen Ansätzen können Überrenditen nachweisen, andere Studien sind wiederum skeptischer.

Grundsätzlich lässt sich zusammenfassen, dass ein positiver Renditebeitrag durch die Mitberücksichtigung von Stimmungsindikatoren gegeben scheint. Viel wichtiger als eine solche isolierte Fragestellung ist, wie man diese Erkenntnisse schlussendlich konkret in einem Anlageprozess zum Nutzen der Kund:innen integriert. Zusammen mit KEPLER haben wir hier sicherlich Pionierarbeit geleistet.

Wir stehen vor riesigen Herausforderungen. Wo liegen denn aber aktuell die Chancen für Europa?


Gerade weil wir zurzeit alles ziemlich pessimistisch sehen, könnten wir schlussendlich positiv überrascht werden. Die Chance besteht, dass wir vielleicht bald eine echte Verhandlungsbereitschaft zwischen Putin und Biden sehen, was für die Finanzmärkte ein sehr positives Signal wäre. Zudem könnte der Inflationsdruck im neuen Jahr endlich wieder nachlassen und damit Zinsängste wieder beruhigen.

Längerfristig ist jede Krise auch immer eine Chance. Die Energiewende wird uns schlussendlich energiepolitisch auf neue, solide und nachhaltige Füße stellen. Ich bin überzeugt, wir werden auch diese Krise überstehen. Schließlich haben wir ja auch die sehr dunklen Tage von Corona gemeistert. Das muss uns Mut machen.

Dieses Dokument wurde von der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich AG (RLB OÖ) ausschließlich zu Informationszwecken erstellt. Die enthaltenen Angaben, Analysen und Prognosen basieren auf dem Wissensstand und der Markteinschätzung zum Zeitpunkt der Erstellung - vorbehaltlich von Änderungen und Ergänzungen. Die RLB OÖ  übernimmt keine Haftung für das Eintreten von Prognosen. Die Inhalte sind unverbindlich und stellen weder ein öffentliches Angebot noch eine Empfehlung zum Kauf oder Verkauf dar. Da jede Anlageentscheidung der individuellen Abstimmung auf die persönlichen Verhältnisse (z.B. Risikobereitschaft) des Anlegers bedarf, ersetzt diese Information nicht die persönliche Beratung und Risikoaufklärung durch den Kundenbetreuer im Rahmen eines Beratungsgespräches. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Finanzinstrumente und Veranlagungen mitunter erhebliche Risiken bergen. Aus der Veranlagung können sich steuerliche Verpflichtungen ergeben, die von den jeweiligen persönlichen Verhältnissen des Kunden abhängen und künftigen Änderungen unterworfen sein können. Diese Informationen dienen nur der Erstinformation und enthalten keinerlei Rechts- oder Steuerberatung und können diese auch nicht ersetzen. Die beschränkte Steuerpflicht in Österreich betreffend Steuerausländer impliziert keine Steuerfreiheit im Wohnsitzstaat. Die Wertentwicklung von Fonds wird entsprechend der OeKB-Methode, basierend auf den veröffentlichten Fondspreisen, ermittelt. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die Zusammensetzung des Fondsvermögens in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Regelungen ändern kann. Im Rahmen der Anlagestrategie von Investmentfonds kann überwiegend in Investmentfonds, Bankeinlagen und Derivate investiert oder die Nachbildung eines Index angestrebt werden. Fonds können erhöhte Wertschwankungen (Volatilität) aufweisen. In den durch die FMA bewilligten Fondsbestimmungen können Emittenten angegeben sein, die zu mehr als 35 % im Fondsvermögen gewichtet sein können. Der aktuelle Prospekt (in deutscher bzw. englischer Sprache) sowie das Basisinformationsblatt (BIB - in deutscher Sprache) liegen bei der jeweiligen Verwaltungsgesellschaft oder der Vertriebsstelle auf. Anleger oder potentielle Anleger finden die Zusammenfassung ihrer Anlegerrechte und der Instrumente zur kollektiven Rechtsdurchsetzung auf Deutsch und Englisch unter www.kepler.at/de/startseite/beschwerden.html . Es wird darauf hingewiesen, dass die KEPLER-FONDS KAG den Vertrieb ihrer Fondsanteile im Ausland jederzeit beenden kann. Ausführliche Risikohinweise und Haftungsausschluss unter www.kepler.at/disclaimer und www.boerse-live.at/disclaimer.

02.01.2023 - Börsenpsychologie