Frau von hinten hält Europa-Fahne über ihre Schulter
Wie Europa wieder an Stärke gewinnen kann

Schönen Worten müssen Taten folgen, um Europas Wirtschaft auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu lenken. Welche Punkte die EU plant, lesen Sie hier.

Der Wettbewerbskompass der EU

„In Amerika wächst die Wirtschaft, in Europa die Regularien“. Aussagen wie diese von Moritz Hundshausen, der die Belange der Familienunternehmen auf europäischer Ebene vertritt, müssen ein Weckruf sein, Europas Wirtschaft wieder in die Erfolgsspur zu bringen. In den nächsten fünf Jahren will die EU Bürokratieabbau zum Kernprojekt machen, Schlüsseltechnologien fördern und wo nötig eine Schutzmauer aus Zöllen oder anderen Instrumenten um die EU-Industrie bauen. Gesetze und Vorschriften werden aufgeweicht, der Green Deal rückt etwas in den Hintergrund.

Die Ausgangslage: Gut, aber verbesserungswürdig

In den letzten 25 Jahren verließ sich Europa auf den stetig wachsenden Welthandel als Wachstumspfeiler: Man eroberte Weltmarktanteile, der Export wuchs und wuchs.


2025 umfasst der EU-Binnenmarkt 440 Millionen Konsument:innen und 23 Millionen Unternehmen, die fast ein Fünftel des Welt-BIPs produzieren. Als Europäer:innen haben wir ein hohes Niveau in Gesundheits-, Bildungs-, Umwelt-, juristischen und administrativen Bereichen. Dieser hohe Standard zeigt sich in den Sozialindikatoren wie Lebenserwartung, Kindersterblichkeit oder der Einkommensverteilung, wo wir führend sind.

Zunehmender internationaler Wettbewerb bei gleichzeitig wachsenden protektionistischen Tendenzen, dazu rückläufige Positionen der EU in Spitzentechnologien, zeigen allerdings eine ungünstige Entwicklung. 

Laut einer EZB-Studie stieg der Anteil der Sektoren, in denen China direkt mit EU-Exporteuren konkurriert, von 25 Prozent im Jahr 2002 auf aktuell rund 40 Prozent. Zudem sind nur mehr 4 der globalen 50 Top-Techfirmen aus der EU.

Europa muss es für Erfinder einfacher machen

Als Hauptgrund für die ins Hintertreffen geratene EU bei der Arbeitsproduktivität wird immer wieder Digitalisierung/IT genannt, von der die US-Wirtschaft ungleich mehr profitiert. Fast alle Internet- und Softwareriesen sitzen in den USA.

Eine Ursache für die aktuell hartnäckige Schwäche der Industrie sehen Studien unter anderem darin, dass große Teile der EU-Industrie am Ende des „Innovationslebenszyklus“ angesiedelt sind, hingegen jene aus den USA und China am Beginn.

Um hier das Ruder herumzureißen, gehört jedenfalls ausreichend Zugang zu Finanzierungen für Start-Ups und Scale-Ups geschaffen. Auch staatlicher Support - unter anderem durch den Abbau von regulatorischen und juristischen Hürden - würde Vorteile bringen.

Eine weitere Vereinheitlichungen im EU-Binnenmarkt, die Involvierung akademischer Bildungseinrichtungen und mehr Tempo von Entwicklung hin zu Kommerzialisierung wären außerdem gefragt.

Der Plan und seine Säulen

Um die Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und Sicherheit in der gesamten Europäischen Union zu festigen, hat die Europäische Kommission am 29. Jänner 2025 den Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit mit drei Grundpfeilern präsentiert.

Säule 1:
Schließung der Innovationslücke:
Steigerung der Produktivität durch Forschung und technologischen Fortschritt.

Säule 2:
Gemeinsamer Plan für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit:
Integration der Dekarbonisierung in die Industrie-, Wettbewerbs-, Wirtschafts- und Handelspolitik - Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum sollen sich gegenseitig verstärken können.

Ziel der Europäischen Kommission ist es:

...den Zugang zu erschwinglicher Energie zu erleichtern und die Wettbewerbsfähigkeit von Herstellern sauberer Technologien zu fördern. Die Kommission wird außerdem einen strategischen Dialog über die Automobilindustrie einleiten, um den Übergang zu elektrischen und autonomen Fahrzeugen zu erleichtern.


Säule 3:
Exzessive Abhängigkeiten reduzieren und Sicherheit erhöhen:

Die dritte Säule des Kompasses konzentriert sich auf den Abbau übermäßiger Abhängigkeiten und die Erhöhung der Sicherheit durch die Einbeziehung offener strategischer Autonomieüberlegungen in die EU-Wirtschaftspolitik. Weiters will man besser auf Eventualitäten vorbereitet sein.

Gedanken zur Zukunft des Wachstums

1. Europa ist unausgewogen. Während einige Länder die Wirtschaft immer wieder mit großen Konjunkturpaketen zu stimulieren versuchen, verhält sich Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas vorbildlich. Zu vorbildlich für immer lauter werdende Kritiker - die Schuldenbremse sei zu starr und im aktuellen Umfeld anhaltender Wachstumsschwäche sollte mehr investiert werden, zumal es beim Thema Infrastruktur durchaus öffentlichen Investitionsbedarf gäbe.

2. Es braucht einen effizienten Kapitalmarkt, damit aus Ersparnissen Investitionen werden. Umfangreiche private Ersparnisse fließen in Europa zu wenig in produktive Investitionen, denn europäische Haushalte veranlagen traditionell mehr in Sparkonten als am Kapitalmarkt. Damit bauen sie weniger Vermögen auf als US-Haushalte, da der risikolose Sparzins geringer ist als die risikoreichere direkte Veranlagung in (produktive) Unternehmen am Kapitalmarkt. So steht in der Folge weniger Kapital zur Wiederveranlagung am Kapitalmarkt zur Verfügung – ein ungünstiger Kreislauf. Die EU-Kommission hakt hier ein und will eine Europäische Spar- und Investitionsunion vorstellen, um neue Spar- und Anlageprodukte sowie Anreize für Risikokapital zu schaffen und den Kapitalfluss innerhalb der EU nahtlos zu ermöglichen.

Der Binnenmarkt hat Potenzial

3. Die Binnennachfrage soll mehr stimuliert werden. Damit würde mehr Kapital am Kontinent bleiben und Abhängigkeiten reduziert werden. Dazu gehört auch, immer noch vorhandene Hemmnisse im EU-Binnenmarkt abzubauen. Nach IWF-Schätzung entsprechen die internen Schranken im EU-Binnenmarkt einem Wertzoll von etwa 45 Prozent für das verarbeitende Gewerbe und 110 Prozent für den Servicesektor. Auch die Arbeitsproduktivität könnte in sieben Jahren um fast sieben Prozent höher sein, wenn die Binnenmarkt-Schranken innerhalb der EU auf das Niveau der USA gesenkt würden.


4. Bei öffentlichen Ausschreibungen in kritischen Sektoren sollte sich die EU mehr emanzipieren und europäischen Firmen den Vorzug geben.

Weitere Ansatzpunkte: Zu viel Regulierung macht die Produktentwicklung teuer und träge, Arbeitsmärkte sollten noch flexibler werden und Investitionen besser geplant und durchgeführt werden.

Stand: Februar 2025
Quellen: EU, AMECO, OECD, EU-Kommission, Draghi-Bericht, EIB, cec-managers
Erstellerin: Mag. Bettina Hametner, Raiffeisenlandesbank Oberösterreich AG

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